SZ: So leben die Imerlishvilis nach der Rückkehr in Pirna

31.12.2021 // Franziska Klemenz // Den gesamten Artikel (SZ plus) finden Sie hier >>

Im Sommer wurde die Familie nach Georgien abgeschoben. Heute sind die Eltern und ihre Kinder zurück im alten Leben in Pirna. Geblieben ist die Angst.

Hier wollen sie bleiben: Die Familie Imerlishvili ist zurück in Pirna.

Luka weiß, wie er die Ruhe vor dem Sturm am besten nutzt. Rare Stunden, in denen das Zimmer mal nur ihm gehört. Der Zehnjährige hockt vor dem Fernseher, zockt Autorennen auf der Spielkonsole. Stockbetten, Plüschzebras und Legosteine rahmen das Kinderzimmer in einer Pirnaer Altbauwohnung. Ansonsten nichts. Kein Rennen, kein Rufen, nur Ruhe.

Die ist vorbei, sobald die jüngeren Geschwister aus dem Hort kommen. Dann kehrt der Sturm, kehrt die Normalität zurück, die diesen Sommer vielen schmerzlich fehlte. Mehr als zwei Monate waren Ilia und Ilona Imerlishvili mit ihren sieben Kindern weg. Abgeschoben, nach Georgien. Nach acht Jahren in Pirna, wo fünf der sieben Kinder auf die Welt gekommen sind, die Älteste bald ihr erstes Gymnasiumszeugnis erhalten hätte. In der Nacht auf den 10. Juni klingelte die Polizei bei ihnen, brachte sie nach Leipzig, von wo ein Abschiebeflug in die georgische Hauptstadt Tiflis abhob.

Ilia, Ilona und ihre älteste Tochter Lika sitzen um einen Adventskranz mit goldenen Kerzen. Rote Kugeln und selbst bemalte Papier-Engel baumeln von den glitzernden Zweigen des Weihnachtsbaums, Flaggen von Deutschland und Georgien zieren die Wohnzimmerwand. „An Georgien vermisse ich nichts, nur meine Familie“, sagt Lika. „Die Menschen dort haben große Herzen, obwohl sie so arm sind.“ Die Elfjährige wiederholt gerade die fünfte Klasse des Gymnasiums. Ihre Mutter stellt ein Lied auf ihrem Handy an, zu dem Lika gern singt. „Stand up“ von Cynthia Erivo, die Hymne eines Films über flüchtende Sklaven. „Ich bin die größte Unterstützerin der ‚Black Lives Matter‘-Bewegung“, sagt Lika und singt: „So I’m gonna stand up, take my people with me, together we are going to a brand new home.“ Ihre Mutter faltet die Hände, schließt die Augen und lächelt, wiegt ihren Kopf im Takt. Lika verstummt. Ihr Vater schüttelt den Kopf. „Ich verstehe nicht, warum es jemandem peinlich sein kann, vor anderen zu singen, wenn man so gut singen kann“, sagt er. „Ich singe wie ein Esel und es ist mir vor niemandem peinlich.“ Ilias Lieblingsband ist Rammstein. Er kichert, singt.

In Georgien lachte er selten. „Es war zehn Mal so schwer, als wenn es mir nur alleine passiert wäre. Es geht um die Zukunft meiner Kinder. Deutschland ist ein korrektes Land, wenn du klug und fleißig bist. In Georgien ist es egal, wer du bist. Du hast jeden Tag eine gefährliche Situation.“ Dass sie zurückkehren durften, bezeichnet er als großes Geschenk. „Aber das hat uns nicht die Ausländerbehörde oder die Landesdirektion möglich gemacht. Das haben uns Menschen möglich gemacht, die uns unterstützen. Und das Gericht.“

Zu Hause verteilt Großvater Noro Spaghetti auf sieben Tellern. Während die Familie in Georgien war, versuchten die Eltern, den Kleinen zu vermitteln, dass sie nur in einer Art verkorkstem Urlaub seien. Vor Kurzem haben sie erfahren, wie viel die Kinder doch mitbekommen haben. Die drei Kleinsten spielten im Wohnzimmer Playmobil. „Ich dachte, sie sitzen einfach nur zusammen und spielen“, sagt Ilia. Er zeigt ein Video, das er aufgenommen hat. Die dreijährige Lisa guckt ihre Geschwister aus runden blauen Augen an, es sprechen vor allem die vierjährige Katharina und ihr Bruder Gabriel, der fünf Jahre ist.

„Dann kam die Polizei, dann kam noch eine andere Polizei.“
„Lika hat ganz doll geweint.“
„Mutti hat auch geweint.“
„Und dann sind wir mit dem Bus gefahren in den Flughafen.“
„Dann ist Papa ausgestiegen und hat geschrien.“

Ilia wischt sich über das Gesicht. „Wenn du deine Kinder so reden hörst, ist es doppelt traurig.“

Ilia hofft auf einen Aufenthaltstitel, der sich verlängern kann, irgendwann vielleicht dauerhaft gilt. „Ich habe keine Angst, dass sie uns noch mal abschieben“, sagt er. „Meine Familie soll bleiben und irgendwann machen meine Kinder es wie gute Bürger und helfen anderen Menschen. Man muss als guter Mensch aufwachsen, nicht wie eine Ratte, um selber eine gute Person zu werden.“ Katharina tippt ihren Vater an. „Ich bin keine Katze“, sagt sie. Ilia lacht. An diesem Abend kann er zu Hause bleiben, er hat keine Nachtschicht. Ilona geht einem neuen Ritual nach. Jeden Abend schaltet sie die Klingel aus, damit die Polizei sie und die Kinder nicht wecken kann. „Wenn Ilia bei der Nachtschicht arbeitet, ist es noch schlimmer. Lika schläft dann immer bei mir, weil ich Angst kriege.“ Manchmal wachen die Kinder um ein Uhr nachts auf und schreien. Sie wissen, dass die 69 Tage im fremden Land fernab der Heimat kein bloßer Albtraum waren. Aus Georgien bleiben der Familie Souvenir-Magneten am Kühlschrank. Und Erinnerungen, die nur sehr langsam verblassen.

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